Horst Ruoss – unsere Hockeylegende zieht sich zurück

Ein Abschied auf Raten erlebten die U12 Jungens bei einer kleinen Feierstunde im Kaminzimmer. Ihr Trainer Horst gibt vor der Hallenrunde sein Amt ab. Endgültig? Ruoss wäre nicht Ruoss, würde da nicht noch ein Hintertürchen offenstehen. „Horst hat uns versprochen, dass er als Techniktrainer für unsere Jugend weiterhin zur Verfügung steht, zumindest einmal pro Woche“, freut sich HCL-Sportvorstand Frank Weitenhagen.

Für etliche HCLer ist dies ein wehmütiger Moment, denn für viele war Horst eine prägende Trainerfigur, darunter auch für Weitenhagen selbst, Stiftungsgründer Wolfgang Reisser, Reinhold Tränkle vom HCL-Förderverein und Pit Kranich, Hockeyolympionike in Reihen des HCL. Alle sind als jugendliche Auswahlspieler von Ruoss trainiert worden.

Bereits vor 60 Jahren übernahm Horst sein erstes Team als Hockeytrainer. Unter seiner Führung reifte die Jugend des VfB Stuttgart zu einer stabilen Einheit und errang viele Meistertitel. Es war der Beginn einer beispiellosen Hingabe zu unserem Sport und der Anfang einer wohl einmaligen Trainerkariere.

Dabei war aller Anfang schwierig. Krieg und Nachkriegszeit waren die denkbar schlechtesten Voraussetzungen für eine sportliche Zukunft. Nur zufällig landete der 1938 Geborene beim Feldhockey, zunächst als Jugendspieler des ESV Rot Weiß Stuttgart. Doch Ruoss spürte schnell, dass seine wahre Passion nicht das eigene Spiel war, sondern seine Fähigkeit, andere für den schnellen Rasensport zu begeistern. Sein besonderes Talent ist bis heute, das Beste aus jedem einzelnen herauszuholen und aus vielen Einzelkönnern ein wirkungsvolles Ganzes zu schweißen. 

Schnell wurde der Deutsche Hockeybund (DHB) auf den erfolgreichen Schwaben aufmerksam. Mit 30 Jahren übernahm er das Jugendnationalteam und führte es 1977 zur erstmals ausgetragenen Europameisterschaft, nachdem er den Vorläufertitel zuvor bereits 5-mal nach Deutschland geholt hatte.

Zuhause im Ländle war der Botnanger inzwischen in die Dienste des HCL getreten, qualifizierte unsere Herrenmannschaft für die neu geschaffenen Feldhockey-Bundesliga, später auch im Hallenhockey.

1984 begann die lange Zeit als Übungsleiter des HTC Stuttgarter Kickers. 16 Jahre verantwortete Ruoss die Erfolge der Degerlocher in der 1.Bundesliga. Auch wenn er wiederholt haarscharf den Blauen Wimpel eines Deutschen Meisters verfehlte, eine Vizemeisterschaft, 8 Halbfinale um den Titel und der Aufstieg mit dem Damenteam dürfen den 85 Jährigen noch immer mit Stolz erfüllen. 

Im Jahr 2000 war Schluss mit dem Ligabetrieb, der „hockeyverückte“, wie Horst sich selbst tituliert, verlegte sich wieder auf den Jugendbereich. Auch hier blieb der Unentwegte erfolgreich. Etliche Landesmeisterschaften und Topplatzierungen auf Bundesebene waren der verdiente Lohn für seine Arbeit. 

Parallel atmete der Schwabe ab 1999 in Österreich internationale Hockeyluft. Ruoss machte Feld- und Hallenhockey der Alpenrepublik hoffähig und war 10 Jahre lang zentrale Figur von Hockey Österreich. Als Trainer, Vizepräsident Sport und Coach galt es, nicht nur auf dem Platz elementare Änderungen einzuleiten, sondern auch strukturelle Maßnahmen in Liga und Nationalteam durchzusetzen. Nach 10 Jahren durfte Ruoss mit dem Europameistertitel, Landesmeisterschaften gecoachter Vereine und vielen weiteren Spitzenplatzierungen der Nationalmannschaft eine sehr erfolgreiche Bilanz ziehen.

Längst im Rentneralter, folgte ab 2006 eine weitere Trainerstation. Als Coach der DHB-Senioren bereitet er ehemalige Spitzenspieler auf ihre internationalen Wettbewerbe vor und begleitet sie weltweit auf Turnieren. Für Ruoss, bestens vernetzt in der Hockeywelt, bedeutete diese Aufgabe ein Wiedersehen mit seinen Schützlingen der frühen Jahre, die er als Jugendliche beim Aufbau Ihrer Karieren unterstützt hat. Für ihn schließt sich ein Kreis auf wundersame Weise.

Einer dieser ehemaligen Schützlinge trat 2020 an Ruoss heran. Unser unvergessene HCL-Sportvorstand Helmut Schmidt, damals schwer erkrankt, bat Ruoss, seine U12-Jungen vorübergehend zu trainieren.  „Das konnte ich dem Helmut nicht abschlagen“, war für Ruoss klar. Aus dem Interimsjob wurde eine Aufgabe, die über Schmidts Tod 2021 hinausging. Erst jetzt, mit der nun endenden Feldsaison, hängt der 85jährige die Hockeyschuhe an den Nagel. 

Ruoss kann´s also auch im 9.Lebensjahrzehnt nicht lassen. Sein Einsatz für Feld- und Hallenhockey ist wohl einmalig. Nicht umsonst wurde ihm in diesem Jahr die Paul-Reinberg-Plakette verliehen, die höchste Auszeichnung, die der Deutsche Hockeybund zu vergeben hat. 

Michael Thum